1. Krankheiten des Gehirns und des Nervensystems

1.1 Polyneuropathie = Schädigung der Nervenbahnen des sogenannten peripheren Nervensystems

Beschwerden: Schmerzen, Kribbeln in den Füßen und Unterschenkeln, v. a. Wadenkrämpfe, Gefühlsstörungen und Schwäche in den Beinen, Störung des Lagesinns, Muskelschwund. Es kann eine Unsicherheit beim Gehen hinzukommen, die bis zur Rollstuhlpflichtigkeit führen kann.

Weitere Anzeichen sind Haut- und Nagelveränderungen sowie Potenzstörungen.

Ursachen: Direkte Giftwirkung von Alkoholabbauprodukten und Fehlernährung (Vitamin-B-Mangel)

Behandlung: Alkoholabstinenz. Vitamin-B-Tabletten.

Verlauf: Bei Karenz können sich auch schwere Nervenschäden innerhalb von Wochen und Monaten zurückbilden.

1.2 Alkoholischer Tremor = Zittern

Anfangs v. a. im Entzug auftretend kann der Tremor chronisch werden. Er ist häufig mit einer Schädigung des Kleinhirns verknüpft.

1.3 Kleinhirnatrophie = Nervenzelluntergang im Kleinhirn

Beschwerden: Koordinationsstörung mit Stand- und Gangunsicherheit, Tremor von Händen, Armen und manchmal auch des Kopfes, verwaschenes Sprechen.

Ursachen: Giftwirkung des Alkohols und seiner Abbauprodukte. Kein Zusammenhang mit der Dosis.

Behandlung: Karenz. Krankengymnastik.

Verlauf: Auch die Kleinhirnatrophie kann sich bei einem Teil der Betroffenen vollständig zurückbilden, bei einem weiteren Teil bessern.

1.4 Hirngefäßschädigungen

Während niedrige Alkoholmengen einen schützenden Effekt auf Herzkranz- und Hirngefäße haben sollen, gilt exzessiver Konsum als Risikofaktor für Schlaganfälle und Hirnblutungen. Hier spielen Störungen der Blutgerinnung (durch einen Leberschaden) sowie der Blutplättchen eine Rolle. Ferner Blutdrucksteigerungen, z. B. im Entzug, epileptische Anfälle und Stürze. Bei Alkoholkranken können auch harmlose Kopfverletzungen eine Blutung verursachen, manchmal entwickelt sich dann allmählich ein Bluterguss unter der Hirnhaut, das sogenannte chronische subdurale Hämatom. Zunehmende Kopfschmerzen, Augenmuskellähmungen, Bewusstseinstrübungen und epileptische Anfälle können auftreten.

1.5 Hirnrindenatrophie = Volumen- und Gewichtsminderung

Die häufigste Ursache für eine Hirnvolumen- und Gewichtsminderung im jüngeren bis mittleren Lebensalter ist der chronische Alkoholismus. Interessanterweise kann sie sich bei Abstinenz vollständig zurückbilden, Die Ursache ist umstritten. Mangelernährung und Hormonstörungen werden vermutet. Ähnliche Hirnsubstanzminderungen lassen sich z.B. bei Magersucht und Depressionen Nachweisen. Es gibt keinen direkten Zusammenhang zwischen dem Ausmass der computertomografisch nachweisbaren Hirnatrophie und Hirnfunktionsstörungen.

1.6 Epileptische Anfälle

gehören zu den häufigsten Folgen des Alkoholismus. Man unterscheidet
1. Anfäle, die im Entzug auftreten (Gelegenheitskrämpfe, häufig),
2. Alkoholepilepsie, die auch bei Alkoholkonsum und nach längerer Abstinenz bestehen bleibt (selten),
3. Anfälle als Spätfolge alkoholbedingter hirnorganischer Schäden, z.B. nach Hirnblutungen.

1.7  Alkoholvergiftungen

1.7.1  Leichte Rauschzustände
Bei Blutalkoholkonzentrationen von 0,5-1‰ findet sich eine Gang- und Standunsicherheit, verwaschene Sprache, Koordinationsstörungen. Die Fahrtauglichkeit ist herabgesetzt. Typisch ist eine Gesichtsrötung.

Psychisch zeigt sich eine allgemeine Enthemmung, verminderte Kritikfähigkeit und Selbstkontrolle sowie häufig eine Antriebssteigerung. Individuell unterschiedlich kann eine zunehmende Müdigkeit auftreten. Konzentration und logisches Denken sind beeinträchtigt.

1.7.2 Mittelgradige Rauschzustände
Bei höheren Blutalkoholkonzentrationen von 1,5-2‰ verstärken sich die geschilderten Störungen.

Psychisch fallen die Berauschten durch zunehmende emotionale Entgleisungen auf, Euphorie oder zunehmende Gereiztheit und Aggressivität, häufig beides im raschen Wechsel, treten auf. Das Denken ist meist noch halbwegs geordnet, Konzentration und Auffassungsgabe sind eingeschränkt.

1.7.3  Schwere Rauschzustände
Bei über 2-2,5‰ kommt es zu zunehmenden Bewusstseins- und Orientierungsstörungen, Angst und Erregung. Die psychischen Funktionen sind insgesamt stark eingeschränkt. Gleichgewichtsstörungen, Schwindel, Sprachstörungen treten hinzu.

1.7.4  Alkoholisches Koma
Blutalkoholkonzentrationen von über 4‰ sind häufig tödlich. Bei über 5‰ stirbt die Hälfte der Betroffenen. Todesursachen sind eine Dämpfung des Atemzentrums oder ein Einatmen von Erbrochenem.

1.7.5  Gedächtnislücken
Sogenannte Filmrisse gehören zu den typischen Zeichen einer Alkoholabhängigkeit und sind für den Betroffenen oft sehr beunruhigend. Sie treten vor allem bei raschem Anstieg der Alkoholkonzentration im Blut auf. Die genaue Ursache ist unbekannt.

1.8  Das Delirium tremens

ist im Vergleich zum einfachen Entzugssyndrom eine seltene Komplikation. Die wenigsten Alkoholkranken entwickeln ein Delir. Andererseits entwickeln Menschen mit einem früheren Delir leicht wieder eines. Ein Delir wird oft von einem epileptischen Anfall eingeleitet. Zunehmende Verwirrtheit, Desorientiertheit, Wahnideen, Halluzinationen, Angst und Unruhe, Reizbarkeit, Schlafstörungen, Zittern, Fieber, starkes Schwitzen und Pulsrasen sind weitere Zeichen. Dazu kommen noch viele weitere körperliche Symptome wie Kreislaufstörungen, Blutdruckentgleisungen, Übelkeit, Durchfall, Lungenentzündungen, Schock, Herzstillstand und Bluthochdruckkrisen sind lebensbedrohliche Komplikationen. 10-30% der unbehandelten und noch 1-8% der behandelten Patienten versterben im Delir.

1.9  Der alkoholische Eifersuchtswahn

wurde schon 1891 beschrieben. Dabei liegt die unkorrigierbare Gewissheit von der Untreue des Partners vor, für die absurde Beweise ins Feld geführt werden. Es erkranken fast ausschließlich Männer. Wegen fehlender Krankheitseinsicht ist die Behandlung schwierig. Wahnbildungen mit Eifersuchtsthematik gelten als gefährlich wegen der daraus resultierenden Gefahr für Tötungsdelikte.

1.10 Hirnorganische Störungen bei Alkoholikern

Bei Alkoholkranken findet sich eine Vielzahl von neuropsychologischen Defiziten, z. B. in den Bereichen Aufmerksamkeit und Konzentration, Gedächtnis, Lernfähigkeit, räumliches Vorstellungsvermögen, Zeitwahrnehmung, Problemlösungsstrategien. Einige Defizite bilden sich unter Abstinenz eher langsam zurück, z. B. Störungen der Aneignung neuer Fähigkeiten, andere rascher. Patienten mit ausgepägten Störungen haben eine schlechtere Prognose bezüglich des Behandlungserfolges. Hirnorganische Störungen haben auch eine wichtige Bedeutung für die Fahrtauglichkeit und Arbeits- bzw. Berufsfähigkeit Alkoholabhängiger.

1.10.1 Wernicke-Korsakow-Syndrom

1881 beschrieb Carl Wernicke ein Krankheitsbild von Alkoholkranken, bei denen er eine Gangstörung, Augenmuskellähmungen und eine Bewusstseinsstörung feststellte.

1887 beschrieb der russische Psychiater Korsakow Patienten mit einem Verwirrtheitszustand, Gedächtnisverlust, Konzentrationsstörungen und anderen psychischen Auffälligkeiten sowie Sprachstörungen.

Beide Krankheiten scheinen eine gemeinsame Ursache zu haben, daher wurden sie zu einem Syndrom zusammengefasst. Für die Entstehung ist ein Mangel an Vitamin B1 von großer Bedeutung. Es kommt zu einem schweren Hirnschaden. Überwiegend betroffen sind Männer zwischen 50 und 70 Jahren. 5 bis 10% aller Alkoholkranken sind betroffen. Die Krankheit kann sehr schwer verlaufen. Es versterben ca. 20% der Erkrankten.

1.10.2 Die Hepatische Enzephalopathie
beinhaltet psychische und neurologische Auffälligkeiten bei Patienten mit Lebererkrankungen. Dabei kommt der Leberzirrhose die entscheidende Bedeutung zu.

Es wird eine akute Form von einer chronischen Form unterschieden. Bei der akuten Form kommt es rasch zu einer Bewusstseinsstörung mit Unruhe, Benommenheit bis zur tiefen Bewusstlosigkeit, Krampfanfällen u.a. Sie kann zum Tode führen. Die schleichend verlaufende chronische Form geht mit verschiedenen Beschwerden einher, Tremor, Gangstörungen, Sprachstörungen, Beeinträchtigungen der Konzentration, des Gedächtnisses, geringe Belastbarkeit u.a.

Die Störungen sind prinzipiell rückbildungsfähig.

Mitverursachend für die Erkrankung ist ein erhöhter Ammoniakgehalt im Blut. Ammoniak entsteht beim Abbau von Eiweiß, gelangt ins Gehirn und wirkt dort als Gift. Die Therapie strebt eine Verminderung des Ammoniakgehaltes im Blut durch eiweißarme Kost und bestimmte Medikamente an.

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